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Wenn der Markt mangels Bewerbern keine Top-Kandidaten mehr hergibt, sollten Sie sich nicht damit zufrieden geben, einfach nur kleinere Brötchen zu backen. In Zeiten der guten Auswahl konnten Unternehmen es sich leisten, ihre Anforderungen hochzuschrauben. Wenn dabei auch Erwartungen beschrieben wurden, die in Wirklichkeit gar nicht nötig sind, machte das nichts – es gab ja genügend Bewerber.

Kompetenzen genau benennen

Das ist jetzt anders: Sie müssen genau beschreiben, welche Kompetenzen wirklich benötigt werden. Bevor Sie jetzt damit anfangen, aus Ihrem bisherigen Anforderungsprofil das herauszustreichen, was als „nice to have“ überflüssig sein könnte, habe ich einen besseren Vorschlag.

Die meisten Anforderungsprofile enthalten ziemlich allgemeine Begriffe, die man kaum sinnvoll in eine Reihenfolge von Wichtigkeit bringen kann. „Durchsetzungsfähigkeit“, „Teamfähigkeit“, „Abschlusssicherheit“ sind solche Begriffe, die Ihr Anforderungsprofil mit viel heißer Luft füllen. Wie wollen Sie feststellen, welcher Bewerber diese Anforderungen erfüllt?

Verhalten beobachten

Ich empfehle, sich bei der Beschreibung von Anforderungen an konkret beobachtbarem Verhalten zu orientieren. Suchen Sie kritische Situationen im Arbeitsumfeld der zu besetzenden Stelle. Sammeln Sie zuerst Situationen und Verhaltensbeobachtungen, ordnen Sie das beobachtete Verhalten dann Anforderungen zu und gewichten Sie die Beobachtungen abschließend.

Wann hat es eine Situation gegeben, wo Sie zwischen erfolgreichem Verhalten und nicht so tollem Verhalten unterscheiden konnten. Beschreiben Sie möglichst konkret: Sie beobachten verschiedene Mitarbeiter bei einer Kundenreklamation. Der eine versucht sich abzusichern, fragt zuerst nach dem Kaufbeleg, recherchiert kritisch die monierte Fehlleistung und so weiter. Der andere stellt diese Sicherheit nach hinten, sagt „das tut mir leid“, äußert Verständnis für die Verärgerung und nimmt dann die beschriebene Fehlfunktion unter die Lupe. Beachten Sie: Beide Verhaltensweisen sind in der Situation möglich und beobachtbar, aber nur eine entspricht Ihrer Vorstellung von erfolgreichem Verhalten (das zu bestimmen, liegt allein bei Ihnen).

Kompetenzen zeigen in Situationen

Sammeln Sie solche beobachtbaren Situationen. Fragen Sie dazu die Mitarbeiter, die den Job machen, die Kolleginnen und Kollegen, die mit ihnen zusammenarbeiten, die Vorgesetzen, die Kunden. Sie werden feststellen, dass viele ähnliche oder gleiche Situationen beschrieben werden. Manchmal werden Sie auch gegenteilige Einschätzungen darüber hören, ob ein Verhalten nun positiv oder negativ für das Ergebnis ist. Sie können dann darüber diskutieren, die Frage qua Amt entscheiden oder die ambivalente Einschätzung einfach stehenlassen. Für die Erstellung des Anforderungskatalogs ist eine Beobachtung, die gegenteilig bewertet wird, nicht hilfreich – ignorieren Sie diese Beobachtung. Sie werden genügend eindeutig bewertete Beobachtungen finden.

Benötigte Kenntnisse und Fähigkeiten erkennen

Im zweiten Schritt fassen Sie die beobachteten Situationen zu Situationsklassen zusammen. Zum Beispiel werden Sie zahlreiche Beobachtungen zur Kommunikation finden, allerdings geht es jeweils um andere Kommunikationsbeziehungen: Umgang mit Kunden, Umgang mit Mitarbeitern, Kommunikation mit Kollegen, mit Lieferanten und vielen anderen Personen. Je nach Ihrem Beobachtungsvorrat unterteilen Sie vielleicht noch feiner: Umgang mit Kunden in Verkaufssituationen, Umgang mit „schwierigen Kunden“ oder einfacher Kundenkontakt. Die Gliederung sollte so fein sein, dass Sie am Ende zu jeder relevanten Kategorie eine Handvoll Beobachtungen haben – sowohl positive wie auch negative.

konkrete Verhaltensbeobachtungen

Solche Verhaltensbeobachtungen könnten zum Beispiel für einen Kundendienstmonteur wie folgt aussehen: Bei auftretenden Problemen während der Montage

(positiv:)

Folgt der Mitarbeiter genau den Anweisungen im Handbuch.

Besorgt er im Zweifelsfall ein passendes Teil aus der Zentrale – auch wenn ähnliche Teile im Wagen sind.

Dokumentiert er genau seine Problemlösung.

(negativ:)

Probiert der Mitarbeiter verschiedene Lösungsmöglichkeiten aus.

Passt er Teile im Zweifelsfall so an, dass sie sich einbauen lassen.

Sagt er nur dem Kunden, wie er das Problem gelöst hat.

Kompetenzen stehen nicht im Zeugnis

Sammeln Sie nun die beschriebenen Kenntnisse und Fähigkeiten, die erforderlich sind, damit sich der Mitarbeiter in den verschiedenen Situationen wie gewünscht verhalten kann. Sie werden sehen, dass diese Fähigkeiten nicht deckungsgleich sind mit einer marktüblichen Qualifikation. Nicht jeder, der einen Beruf gelernt hat, beherrscht alle geforderten Fertigkeiten für den Job, den Sie vergeben möchten. Und wer den Job gut macht, muss nicht unbedingt alles können, was in der Prüfung für den Beruf gefordert wird. Mit dieser Zusammenstellung machen Sie deutlich, welche Fertigkeiten auch von Seiteneinsteigern mitgebracht werden können und welche Kenntnisse so speziell sind, dass sie ohnehin Gegenstand einer intensiven Einarbeitung sein werden.

Wenn Sie Ihre Anforderungen auf diese Weise mit beobachtbarem Verhalten und Fertigkeiten beschreiben, können Sie viel besser beurteilen, ob ein Bewerber den Anforderungen entspricht oder nicht. Vielleicht stellen Sie aber auch fest, dass Sie in Wirklichkeit die berühmte „eierlegende Wollmilchsau“ suchen, die es auf dem Markt nicht gibt. Dann nutzen Sie die Erkenntnisse, um die Aufgaben im Unternehmen so umzustrukturieren, dass die Arbeitspakete leichter an passende Mitarbeiter zu vergeben sind.

Beobachtbares Verhalten

Beobachtbares Verhalten ist der Schlüssel für die Eignungsentscheidung im Einstellungsinterview. Im nächsten Beitrag erläutere ich, wie Sie mit diesem Schlüssel eine neue Dimension der Bewerbungsgespräche aufschließen.

Haben Sie schon mal geprüft, welches Verhalten für bestimmte Aufgaben in Ihrem Unternehmen zielführend ist? Welche Erfahrungen haben Sie dabei gemacht? Ich bin gespannt auf Ihre Rückmeldungen!

 

 

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