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„Best Practice“-Ratgeber führen oft in die Irre. Wir sollen lesen, was erfolgreiche Unternehmen „richtig“ machen und das Beispiel nachahmen. Aber ob „Best Practice“ auch für uns die beste Lösung ist? Die rosig beschriebenen Erfolgsgeheimnisse können sogar die eigene Kreativität bremsen und das Lernen in Organisationen behindern. Unternehmen lernen nicht „von den Besten“ sondern am besten von sich selbst.

Hinter dem Best Practice-Mythos steht der Glaube, es gäbe so etwas wie „richtiges Management“. Standards und Reifegradmodelle propagieren Einheitlichkeit. Und wer Standards vorbildlich umsetzt, darf seine Erfahrungen als „Best Practice“ berichten. Wahrscheinlich ist: Das Unternehmen hat mit der gefundenen Lösung lange genug überlebt, dass der Bericht fertig wurde. Alles andere ist Spekulation: War das wirklich die „beste“ Lösung? Was wäre gewesen wenn…? Wird die Lösung auch in der Zukunft überlebensfähig sein? Ist die Lösung auch für mich gut (die „beste“)? Best Practice ist nicht mehr als ein Beispiel für „So kann man’s machen.“

„Best Practices vermitteln das Gefühl, nach Methode und System vorzugehen.“

In  der Zeitschrift „Organisationsentwicklung“ bestätigen Arjan Kozica und Petra Kneip meine Auffassung vom „Mythos Best Practice“ (ZOE 3/2017, S. 12-17).

Sie verweisen auf die sehr begrenzte hilfreiche Wirkung von Best Practice Modellen im Change Management. Vielmehr sei es wichtig, Paradoxien, Ambiguität und Komplexität von Veränderungssituationen zu akzeptieren und nicht in die Scheinsicherheit von vorgefertigten Lösungen zu verfallen. Die Aufgabe für Change Manager sei es, „dort Lösungen zu finden, wo keine rationalen, eindeutigen Lösungen existieren.“

Das Dilemma der Manager

Die Auszeichnung „Best Practice“ gibt einem einfachen Beispiel einen scheinbaren Expertencharakter. Die Orientierung an Experten (oder solchen, die man dafür hält) ist eine bewährte Strategie, die Unsicherheit der eigenen Entscheidung auszugleichen. Als Manager lebt man permanent in einem Dilemma: Man muss Entscheidungen für die Zukunft treffen und weiß doch nicht, was die Zukunft bringt. Das schafft Unsicherheit. Bevor man was falsch macht, fragt man lieber einen Experten oder hält sich an das, was als „Best Practice“ empfohlen wird.

Wissen als Lernbehinderung

Diese Fixierung auf Experten (und Berater!) hat ihre Tücken: Kommt eine Lösung erst einmal mit dem Expertenanspruch „Best Practice“ daher, ist es nicht mehr so einfach, die Idee aus dem Kopf zu kriegen. So eine Idee frisst sich schneller ins Hirn als man denkt und fortan dreht sich jeder Gedanke immer wieder um diese Lösung. Da wird verglichen, da wird verändert – aber verworfen wird die Idee erst, wenn einer eine bessere bringt. Bloß wo soll die herkommen, wenn alle schon die eine Idee im Kopf haben? Wissen ist eine tückische Lernbehinderung.

Was also machen mit Best Practice-Berichten? Meine Meinung: Ball flach halten, Superlative streichen. Organisationen lernen am meisten von sich selbst: Von der Erkenntnis, dass die aktuellen Regeln und Abläufe den Erwartungen der Umwelt nicht mehr gerecht werden. Vom Bewusstsein für die Stärken, die einen bis hierher gebracht haben. Von der Einsicht, dass sich manches Dilemma nicht auflösen lässt. Vom offenen Streit um neue Lösungen. Das sind die Stärken lernender Organisationen.

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