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Bei vielen BPM-Projekten geht es um die Vereinheitlichung der Prozesse mehrerer Unternehmensbereiche und meistens steht dabei ein neues ERP-System im Mittelpunkt. In den letzten Monaten habe ich mehrere Projekte dieser Art unterstützt. Meine Erfahrungen möchte ich reflektieren. Dazu einige Gedanken, wie Projekte zur Harmonisierung von Prozessen meiner Erfahrung nach die besten Erfolgsaussichten haben. Meine wichtigsten Instrumente sind dabei a) das Konzept der lernenden Organisation und b) die Prozessmodellierung mit dem logischen Prozess. Zunächst drei Beispiele für die verschiedenen Ausgangssituationen von Harmonisierungs-Projekten.

Drei Projektbeispiele für die Harmonisierung von Prozessen

Beispiel 1: Ein Sondermaschinenhersteller produziert und verkauft weltweit Anlagen für unterschiedliche Kundengruppen wie Bergbau oder Lebensmittelindustrie. Und aus der Historie haben sich die Vertriebs- und Lieferprozesse je nach Land und Industrieschwerpunkt über Jahre hinweg unterschiedlich entwickelt. Denn zur Belieferung eines chinesischen Bergbaukonzerns sind andere Services gefragt als bei einem Schweizer Pharmaproduzenten. Aus dieser Gemengelage heraus entwickelte sich schließlich eine entsprechend gemischte Anwendungslandschaft für die Geschäftsprozesse. Und nun sollten diese sehr unterschiedlichen Anforderungen möglichst schnell in einem zukünftigen gemeinsamen ERP-System ihr zu Hause finden.

Beispiel 2: Ein Papierproduzent bediente über Jahrzehnte hinweg verschiedene Kundengruppen mit unterschiedlichsten Produkten in zwei getrennten Unternehmensbereichen. Beide Bereiche entwickelten dabei im Laufe der Zeit ihre eigenen Geschäftsprozesse und optimierten ihre Anwendungslandschaft. Mehr und mehr erforderten aber neue Kundenprojekte, dass beide Geschäftsbereiche Vorprodukte und Services aus dem jeweils anderen Bereich beziehen sollten. Daraus resultierten Probleme und an diesen internen Schnittstellen knirschte das Geschäft härter als bei externer Beschaffung. Diese Systeme zu konsolidieren erforderte einen kompletten Neuentwurf der ERP-Anwendung und schon ein kleiner Teil wie die Schaffung eines gemeinsamen Artikelstamms ist eine große Herausforderung.

Beispiel 3: Ein Werkzeughersteller will Produktions- und Vertriebsniederlassungen in aller Welt mit einer einheitlichen Software zentral besser steuern. Im Mutterhaus werden dabei die Prozesse mit einem umfassenden ERP-System gesteuert, während in den ausländischen Tochtergesellschaften bisher die unterschiedlichsten Systeme unterhalten wurden, bis hin zu selbstgebauten Excel-Listen mit hochkomplexer Struktur. Nun forderte das Auslandscontrolling einheitliche und transparente Prozesse mit der gleichen Software in allen Gesellschaften.

Was bringen einheitliche Prozesse?

Eine Software für alle Bereiche – das geht nur mit einheitlichen Prozessen. Darum werden Prozess-Projekte häufig von der IT angeschoben, weil die IT- Kosten auf die Rentabilität drücken. Das macht aus Kostensicht Sinn, denn Lizenzen, Pflege und Betrieb für mehrere Applikationen schlagen kräftig zu Buche.

Es geht aber auch um Kontrolle, denn Kapitalgeber fordern immer mehr konsolidierte Kennzahlen von Unternehmen. Wenn jeder Unternehmensbereich eigene Prozesse für Auftragsbearbeitung, Fertigung und Beschaffung betreibt, lassen sich die Zahlen wie beispielsweise Lager- oder Auftragsbestände nur schwer konsolidieren. Der Hunger nach stimmigen Zahlen ist also ebenso ein wichtiger Treiber für die Harmonisierung von Prozessen.

Wie kommen Standardprozesse an der Basis an?

Was kommt von dieser Projekt-Motivation bei den lokalen Einheiten an? „Die wollen Kosten senken – darum gibt’s nur noch Software von der Stange.“ „Prozesse vom grünen Tisch – wir werden nicht gefragt.“ „Am Ende werden wir nur noch mehr kontrolliert.“ Vereinheitlichte Prozesse bringen aus Sicht lokaler Verantwortlicher einen Verlust an Eigenständigkeit, an Flexibilität, an Macht. Sie befürchten oftmals zu große Transparenz, Austauschbarkeit und Praxisferne. Begegnen die Mitarbeiter einem Prozessprojekt erst einmal mit Misstrauen, dann wird der Widerstand zur harten Nuss und das Projekt droht zu scheitern.

Organisationen werden nicht verändert – sie lernen.

Wie können wir dieser Gefahr vorbeugen? Wichtig ist, dass wir verstehen, wie Organisationen lernen. Auch wenn einzelne Personen verantwortlich handeln, können sie das Verhalten der Organisation nur sehr begrenzt steuern. Die ist nämlich wie ein eigenes Subjekt und entwickelt sich autonom. Wir können zwar erkennen, dass sich der Prozess ändern muss – aber wir können Änderung nicht „machen“. Wir sind darauf angewiesen, dass die Organisation lernt.

Also geben wir ihr Impulse für das Lernen – das ist die Funktion von Führung. Organisationen lernen, wenn sie einen Anpassungsdruck wahrnehmen – wenn also der Austausch mit der entscheidenden Umwelt nicht mehr funktioniert oder bedroht ist. Übersetzt für Unternehmen heißt das: wenn der Markt nicht mehr hergibt, was das Unternehmen braucht: Nachfrage, Personal, Kapital, Waren. Das Problem dabei ist das Wahrnehmen: Da Organisationen keine Augen und Ohren haben, nehmen sie nur wahr, was die Menschen in der Organisation kommunizieren.

Wenn ein Unternehmen neue Prozesse „lernen“ soll, muss zuerst über die Notwendigkeit der Anpassung im Unternehmen gesprochen werden. Wir sprechen also mit den wichtigen Personen in den Bereichen (Mitarbeiter mit formellem und informellem Einfluss). Wir sammeln dabei die Erwartungen der Umwelt: Kundenerwartungen, regulatorische Anforderungen, Bedingungen der Kapitalgeber – und wie sich diese Erwartungen verändern. So sorgen wir dafür, dass das Thema in der Kommunikation der Organisation ist. Dann nimmt sie wahr. Es genügt nicht, dass der Vorstand Marktentwicklungen sieht – er muss sie in die Kommunikation bringen.

Ist die Notwendigkeit einer Anpassung in der Organisation wahrgenommen, wird sie sich verändern. Soviel ist sicher – zwei Faktoren müssen wir aber im Auge behalten: Erstens lässt sich der Lernprozess nicht aufhalten. Ist der Geist einmal aus der Flasche, geht er nicht mehr zurück. Zweitens lernt die Organisation selbst, wir haben nur begrenzten Einfluss auf das Ergebnis. Also brauchen wir eine gute Kommunikation, um die Entwicklung neuer Prozesse zu leiten. Ich halte mich dabei an ein Vorgehen in drei Schritten.

Drei Schritte: Logischer Prozess – Ist-Situation – gemeinsame Lösung

Schritt 1 – Die logischen Prozesse: Bestimmen Sie zunächst die „logischen Prozesse“ – als ein Geflecht von Start- und Endereignissen und gegenseitigen Prozess-Aufrufen. Dieses Prozessmodell markiert die Erwartungen der Umwelten (Kunden, Lieferanten, Kapitalmarkt etc.) an die Prozesse – nicht die Art und Weise, wie die Ergebnisse erreicht werden. Dabei wird die Abhängigkeit der Prozesse untereinander mit ihren Übergabepunkten sichtbar.

Schritt 2 – Die Realität in der Praxis: Thematisieren Sie dann die Unterschiede in der Praxis der verschiedenen Bereiche. Diese arbeiten häufig unterschiedlich, um ein ähnliches Ergebnis zu erreichen. So wird für die Praktiker schnell sichtbar, wo im Alltag Veränderungen notwendig werden. Hören Sie dabei gut zu, wo in der jeweiligen Praxis der Schuh drückt. Diese Phase entspricht am ehesten der „Ist-Aufnahme“ aus klassischen Vorgehensweisen – ich sehe aber wenig Nährwert darin, diese Prozesse in Extenso zu modellieren oder gar freizugeben.

Schritt 3 – Der gemeinsame Prozess: Erst wenn die Unterschiede und die Herausforderungen in den verschiedenen Bereichen klar sind, ist es ratsam, über den zukünftigen Prozess zu sprechen. Hier macht durchaus eine detaillierte Modellierung Sinn, damit die neuen Abläufe und die Übergaben zwischen Anwendern und Applikationen nachvollziehbar sind. Für eine eventuelle Applikationsentwicklung empfehle ich eine technische BPMN-Modellierung mit einem gesonderten Pool für die zu erstellende Applikation.

Agieren in engen Spielräumen

Im optimalen Fall entwickeln Sie Ihren zukünftigen Prozess gemeinsam mit den Vertretern aus der Praxis. Häufig ist dies aber so nicht umsetzbar: Die Software-Entscheidung ist gefallen und das System bietet nur einen geringen Spielraum für die Ausgestaltung der Prozesse.

Aber auch in diesem Fall können wir uns die ersten beiden Schritte nicht sparen: Die Chance auf Akzeptanz und reibungslose Übernahme von Prozessen steigt, je klarer Sie die Veränderung thematisieren. Ein vorgegebener Prozess ist wie eine gegebene Bedingung der Umwelt. Gemeinsam arbeiten Sie heraus, wo sich der vorgegebene neue Prozess für jeden Bereich vom jeweils alten Prozess unterscheidet, welche der festgestellten Herausforderungen damit besser gelöst werden und was vielleicht nicht verbessert wird. Dann gilt es, mit den entsprechenden Bereichen, Lösungen für die bestehenden Probleme im vorgegebenen Prozess zu finden.

Gerade wenn die tatsächlichen Spielräume zur Anpassung von Prozessen gering sind, ist die Kommunikation über die Veränderung umso wichtiger. Sie führt dazu, dass das Projekt und die betroffenen Geschäftsbereiche gemeinsame Herausforderungen erkennen, gemeinsam Lösungen finden oder auch zusammen feststellen, was nicht zu lösen ist. Statt als „Change Manager“ zu versuchen, die Organisation „von außen“ zu verändern, stellt dieses Vorgehen das Interesse an der gemeinsamen Überlebensfähigkeit in den Mittelpunkt.

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