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Die meisten Bewerbungsinterviews laufen als wenig strukturierte nette Gespräche ab. Der Erkenntniswert dieser Gespräche kommt allerdings selten darüber hinaus, festzustellen, ob man sich gegenseitig „nett“ findet. Dabei bietet ein gut vorbereitetes Bewerberinterview hervorragende Möglichkeiten, das Verhalten des Bewerbers in relevanten Situationen zu beobachten. Nebenbei können Sie damit auch wunderbar Werbung für Ihre Arbeitgebermarke machen.

Verhalten im Interview erkennen

Im dritten Teil der Serie habe ich erläutert, wie Sie die wichtigen Anforderungen am Verhalten von Mitarbeitern festmachen und wie Sie Situationsklassen identifizieren, in denen Mitarbeiter dieses Verhalten zeigen – oder auch nicht zeigen können. Die Einschränkung ist wichtig: Für die Beobachtung eignen sich nur Situationen, in denen eine reelle Wahlmöglichkeit besteht. Beobachtetes Verhalten von Menschen sagt nur dann etwas über ihr zukünftiges Verhalten aus, wenn sie sich auch anders hätten verhalten können.

Bewerbungsmappen erzählen Geschichten

Mit dieser Vorbereitung entwickeln Sie einen völlig neuen Blick auf Bewerbungsunterlagen, Arbeitszeugnisse und Lebensläufe. Natürlich versucht jeder Bewerber, sich von seiner Schokoladenseite zu zeigen, und manches Zeugnis ist kaum mehr als eine Gefälligkeit für den scheidenden Mitarbeiter. Daher achten Sie einfach gar nicht auf die Bewertung, sondern lesen Sie die Geschichten. Was wird erzählt über Situationen, die in Ihre beschriebenen Situationsklassen passen? Erwähnt ein Zeugnis Aufgaben in der Reklamationsbearbeitung? Dann passt vielleicht die Situationsklasse „Umgang mit schwierigen Kunden“.

Sammeln Sie jetzt viele mögliche Situationen, in denen Ihr Bewerber wahrscheinlich war. Überlegen Sie, wie Ihre positiven oder negativen Verhaltensanker auf die Erfahrungswelt des Bewerbers übertragbar sind. Bereiten Sie so Ihre Fragen vor. Sie werden feststellen: Bewerbungsunterlagen sind ein reicher Schatz wertvoller Geschichten.

Gesprächsführung mit neuer Qualität

Nun bekommen auch Ihre Auswahlgespräche eine neue Qualität. Sie haben jetzt das Ziel, möglichst lebendige Schilderungen tatsächlicher Situationen zu bekommen. Dazu fragen Sie zunächst entlang Ihrer vorbereiteten Ideen, wann der Bewerber zuletzt eine Situation X oder Y erlebt hat. Nicht jeder Bewerber wird Ihnen zu jeder Frage eine Situation schildern können; deshalb sollten Sie mehrere Ideen im Köcher haben. Mit der Zeit entwickeln Sie auch ein Gespür dafür, relevante Situationen im Gespräch zu bemerken.

Und jetzt kommt die wichtigste Herausforderung: Zuhören! Nicht Sie erzählen, sondern Ihr Bewerber. Verkneifen Sie sich Wertungen, Bestätigung, Widerspruch, Belehrung oder Ähnliches. Signalisieren Sie Interesse und Aufmerksamkeit. Dazu können Sie hin und wieder Punkte der Erzählung aufnehmen und mit anderen Worten wiedergeben. Das fördert den Erzählfluss.

Gute Interviewtechnik schaut hinter die Fassade

Lenken Sie die Erzählung durch Ihre Fragen. Dabei helfen Ihnen verschiedene Methoden: Die STAR-Technik hilft, eine Erzählung auf die Sache zu konzentrieren, wenn Ihr Gegenüber abschweift. Wie war die Situation (S), welche Aufgabe war zu bewältigen (T-Task), was haben Sie getan (A-Action) und was war das Ergebnis (R-Result).

Eine andere Technik nutzt die Aspekte von ablaufendem Verhalten. Was haben Sie wahrgenommen, was haben Sie dabei gedacht, was haben Sie schließlich getan, wozu hat das geführt, was haben Sie dabei gespürt oder wie haben Sie sich gefühlt, hat das irgendwelche Auswirkungen für Sie?

Fragetechnik: Um die Ecke fragen

Eine dritte Methode ist die zirkuläre Frage. Fragen Sie nicht, was Ihr Gesprächspartner erlebt, gesehen, getan oder gesagt hat, sondern lassen Sie ihn die Situation aus dem Blickwinkel eines Beobachters schildern: „Wenn ich Ihren Kunden gefragt hätte, wie Sie sich verhalten haben – was hätte er mir geantwortet?“ Diese Methode nutzt den Perspektivwechsel und bringt eine gewisse Distanz in die Beobachtung.

Mit diesen Fragetechniken gelingt es Ihnen, Ihren Bewerber in den geschilderten Situationen zu beobachten, ohne dass Sie wirklich dabei waren. Dabei liefert Ihnen der Gesprächspartner Hinweise auf die Authentizität der Schilderung: Bleibt er beim „ich“ und schildert das eigene Erleben, ist die Beobachtung authentisch. Flüchtet er immer wieder in „man“ (da können Sie ein oder zweimal intervenieren und erinnern, dass Sie wissen wollen wie er/sie sich verhalten hat), dann verliert die Situation an Authentizität – die Beobachtung ist weniger wert.

Im Interview Verhalten beobachten

Wenn Sie einen guten Vorrat an möglichen Verhaltensankern im Hinterkopf haben, werden Sie genau diese Anker in der Erzählung wiedererkennen. Wenn die Situationsklassen zueinander passen, sind auch die Verhaltensanker übertragbar. Ein IT-Supporter, der in seiner Schilderung von Kundensituationen häufig in Kategorien von Durchsetzen, Abwehren, Recht behalten spricht, wird wahrscheinlich gegenüber Wohnungseigentümern oder Mietern eher die „klare Kante“ betonen. Anhand Ihrer Erwartungen an das Verhalten in solchen Situationen werden Sie schnell spüren, ob der Bewerber passt oder nicht.

„Soft Skills“ erfährt man durch zuhören

Die gezeigten Methoden dienen dazu, die überfachlichen Kompetenzen eines Bewerbers weitgehend objektiv erkennbar zu machen. Die beste Prognose für Verhalten in der Zukunft ist das beobachtete Verhalten in der Vergangenheit. Das bedeutet nicht, dass Menschen in ihrem Verhalten statisch sind. Auch Lernen, Weiterentwickeln und der Umgang mit Rückschlägen lassen sich als Kompetenzen mit diesem Methodenset erarbeiten. Notwendig dazu sind ein kontinuierliches Training in der Gesprächsführung und eine ehrliche Rückmeldung durch einen Beobachter. Mein abschließender Tipp, Bewerbungsgespräche immer zu zweit zu führen, bezieht sich also weniger auf die Beobachtung des Bewerbers als vielmehr auf die Rückmeldung für den Gesprächsführer.

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